Abschiebelager Bramsche-Hesepe. Offizieller Name: Landesaufnahmestelle LASt

 

November 2000

Im ehemaligen Grenzdurchgangslager wird in einem Teil der „Unterbringungsbereich“ für AsylbewerberInnen mit zunächst 180 Plätzen in Betrieb genommen. Ein Konzept für das Lager besteht nicht. Nach Verlautbarungen aus dem Innenministerium sollen dort „ausreisepflichtige“ Flüchtlinge untergebracht werden, deren Abschiebung aus verschiedenen Gründen unmittelbar nicht möglich ist. Von Beginn an werden Flüchtlinge aus der ZAST Oldenburg in dem Lager untergebracht, die gerade erst ihren Asylantrag gestellt haben und die bei Vorladungen in die lagereigene Ausländerbehörde unter Druck gesetzt werden, an der „freiwilligen Ausreise“ mitzuwirken. Als Druckmittel werden Kürzungen der wenigen Leistungen eingesetzt. Vorgehen: Die Flüchtlinge bekommen ihre Aufenthaltsgestattung oder Duldung alle zwei oder drei Wochen verlängert. Um die Papiere zu verlängern, bekommen sie eine schriftliche Vorladung. Wenn sie sich dann die Verlängerung abholen, werden sie jedes Mal dazu gedrängt, ihren Asylantrag zurückzuziehen.

Neben alleinreisenden Erwachsenen sind Familien und unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge in dem Lager untergebracht. 

Öffentlichkeitsarbeit zu dem Lager ist von Beginn an unglaublich schwer. Die Bramscher Bevölkerung duldet das Lager wegen der Arbeitsplätze, will die Flüchtlinge aber unbedingt hinter dem Zaun behalten. In Bramsche gab und gibt es kaum Unterstützung für die Schließungsforderung aus politischen oder auch nur aus humanitären Gründen.

Uns werden sowohl beim Jugendzentrum als auch in Kirchengemeinden zuvor zugesagte Räume für Veranstaltungen gekündigt. Bei Nachfragen stellt sich heraus, daß das indirekt auf Anweisungen aus dem niedersächsischen Innenministerium zurückzuführen ist.

 

2001

Wir besuchen regelmäßig Flüchtlinge und stellen fest, daß sich die Bedingungen langsam verschärfen. Der Verdacht erhärtet sich, daß das Lager Modellcharakter hat für Repression, die die Flüchtlinge zur Ausreise drängen soll. Der Entwurf für ein neues Zuwanderungsgesetz erscheint. Bramsche-Hesepe passt als Modell für die einzurichtenden „Ausreiseeinrichtungen“.

Wir laden über den niedersächsischen Flüchtlingsrat zu einer Podiumsdiskussion ein, an der auch Hans-Hermann Gutzmer, damals noch Leiter des Referats Ausländer und Asylrecht im niedersächsischen Innenministerium, teilnehmen soll. Er sagt ab und bestätigt in seiner Absage unsere Vermutung: „Abschließend will ich noch darauf hinweisen, dass auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Zuwanderungsgesetz vorsieht, dass die Länder „Ausreiseeinrichtungen“ schaffen. Dort soll durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert und die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden. Das Land Niedersachsen befindet sich also mit seiner Einrichtung in Bramsche in Übereinstimmung mit Überlegungen des Bundes.“ Und weiter: „Es macht keinen Sinn, bei diesen Personen durch eine Verteilung auf die Gemeinden Hoffnungen auf einen Verbleib im Lande zu wecken. Ihnen muss vielmehr von vornherein deutlich gemacht werden, dass sie keine Perspektive für einen Aufenthalt in Deutschland haben, um auf diese Weise auch ihre Bereitschaft zu stärken, das Land freiwillig zu verlassen.“

Im September besucht mit uns Claudia Roth das Lager und ist „fürchterlich entsetzt“. Später hören wir von ihrem Referenten, daß sie einen Scheiß dafür tun wird, daß die Konzeption „Ausreiseeinrichtung“ aus dem Referentenentwurf für das Zuwanderungsgesetz verschwindet. Sie spricht höchstens davon, daß das „Ausreisemanagement“ nicht so offensichtlich inhuman gestaltet werden soll. Als wir in der Folgezeit jedoch das Lager in unseren Veröffentlichungen als „Ausreiseinrichtung“ bezeichnen, wird das von Seiten der Lagerleitung dementiert. Wir nennen das Lager jetzt wieder Abschiebelager, was wohl auch am besten den Kern trifft.

Statistik für das Jahr 2001 (Bezirksregierung Weser-Ems): 231 Flüchtlinge haben das Lager verlassen, davon sind 30 abgeschoben worden, 77 in die Illegalität gegangen, 89 umverteilt worden, 35 „freiwillig“ ausgereist.

 

2002

Es werden vermehrt Familien und minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in dem Lager unterbracht. Für alle herrschen dieselben Bedingungen. In Niedersachsen besteht für alle Kinder unter 16 Jahren Schulpflicht. Zu Beginn gab es die Überlegung, eine Lagerschule einzurichten, was aus Kostengründen von der Bezirksregierung Weser-Ems abgelehnt wurde. Deshalb wurden die Kinder aus dem Lager in die Grundschule nach Hesepe und die Orientierungsstufe nach Bramsche geschickt. Erst kurz vor der Beschulung wurde den LehrerInnen der Klassen Bescheid gesagt. Die Kinder sind plötzlich da, mit einem Stift und einem Heft in der Hand. Förderunterricht war nicht vorgesehen.  Genauso plötzlich verschwanden die Kinder wieder, niemand aus der Klasse oder auch LehrerInnen wussten, wohin. Nachdem wir Kontakt mit einigen Lehrerinnen der O-Stufe aufgenommen hatten, schrieben diese einen Brief an die Bezirksregierung und an das Innenministerium. Die Bezirksregierung schrieb zurück, daß sie handlungsunfähig sei und im übrigen nicht zuständig, das Innenministerium meldete sich nicht.

Im Juni beschließt das Innenministerium, die Zahl der Flüchtlinge auf 400 aufzustocken. Das wird zunächst nicht durchgeführt aufgrund des Protestes aller Fraktionen des Kreistages. Dazu der Oberkreisdirektor: Bereits die aktuelle Zahl der in Bramsche untergebachten abgelehnten Asylbewerber habe in der Vergangenheit zu eklatanten Problemen in der öffentlichen Sicherheit  und im sozialen Umfeld geführt und zwar mit ständig steigender Tendenz.

Im August machte die „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ Station in Bramsche. Das Lager wurde für das Wochenende geschlossen und den Flüchtlingen, die an der Aktion teilnehmen wollten, mit Repression gedroht.

Bei unserem nächsten Besuch im Lager wurden wir rausgeschmissen und kurze Zeit später wurden in allen Häusern Überwachungskameras angebracht.

Statistik: Freiwillige Ausreise: 50; Abschiebungen: 47; untergetaucht: 66; umverteilt: 146; insgesamt haben das Lager verlassen: 309

 

2003

Das Innenministerium beschließt die Aufstockung der Plätze für Flüchtlinge in dem Lager auf 550. Es sollen nur noch Flüchtlinge in dem Lager untergebracht werden (Das bedeutet für die Zukunft, daß weitere Aufstockungen möglich sind, da das Lager über eine Kapazität von 1200 Plätzen verfügt.) Der Lagerleiter ist begeistert, weil er seine 200 Arbeitsplätze gesichert sieht. Die Arbeitsplätze sind das Hauptargument gegenüber der Bramscher Bevölkerung, um die Aufstockung durchzusetzen. Diese murrt schon wieder, weil sie sich durch die Flüchtlinge belästigt sieht. Eine Arbeitsgruppe für „flankierende Maßnahmen“ wird eingerichtet, hierbei geht es vor allem um mehr Polizeipräsenz und jetzt doch die Einrichtung einer Lagerschule.

Im November nehmen Kinder aus dem Lager an der Tagung der „National Coalition“ zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland und Europa, die in Osnabrück stattfindet, teil. Sie formulieren zusammen mit Kindern aus Osnabrück und Melle einen offenen Brief an den Ministerpräsidenten C. Wulff, in dem sie auf ihre Lage aufmerksam machen und einige Forderungen zum Lager stellen. Auf subtile Art versucht die Sozialbehörde des Lagers, die Teilnahme der Kinder am Kongreß zur verhindern, was ihre Situation allerdings für die erwachsenen Kongressbesucher nur deutlicher macht. Es folgt eine Einladung bei der Osnabrücker Kinderkommission. Die Kinderkommission schickt den Brief im Auftrag der Kinder an C. Wulff.

Zum Ende des Jahres beginnt die Aufstockung des Lagers, gleichzeitig sickert durch, daß auch im Lager Bramsche im Zuge der Verwaltungsreform Stellen gestrichen werden sollen. Das war’s dann wohl mit der Arbeitsplatzsicherung.

Statistik für das Jahr 2003: Von 250 untergebrachten Flüchtlingen mussten 117 in die Kommunen umverteilt werden. 19 Personen sind „freiwillig“ ausgereist, 30 wurden abgeschoben, 84 sind in die Illegalität gegangen. 

 

2004

Mittlerweile sind alle 550 Plätze des Abschiebelagers belegt. Auch die Stellenstreichung ist besiegelt. Zum Ausgleich sollen einige Aufgaben (wie natürlich die Wachdienste) privatisiert werden, was zum Teil schon geschehen ist. 

Im März erscheint endlich vom Landesinnenministerium ein Konzept für das Abschiebelager. Nach dem Konzept ist es eine „Gemeinschaftsunterkunft“ mit dem Titel: „Landesaufnahmestelle (LASt)“.

Das Konzept legt fest, was schon immer Praxis war: „In Bramsche werden künftig Personen untergebracht, die in einer der niedersächsischen Zentralen Anlaufstellen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber einen Asylantrag gestellt und aufgrund der Prognoseaussage des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge keine Perspektive für einen dauerhaften Aufenthalt haben.“ Des weiteren wird die Lagerschule in dem Konzept festgelegt und die „Förderung der freiwilligen Rückkehr“. Ein ausführliches Kapitel beschäftigt sich noch mit der „Kriminalitätslage / Sicherheitsempfinden in Bramsche“. Die Polizei erhält zwei neue Planstellen, die Hundertschaft Osnabrück stellt zwei weitere Beamte zur Verfügung und temporär erfolgt eine zusätzliche Verstärkung des PK Bramsche durch Kräfte der Bereitschaftspolizei.

Immerhin haben wir es durch unsere Öffentlichkeitsarbeit geschafft, daß von nun kann keine unbegleiteten Minderjährigen mehr in dem Lager untergebracht sind.

Im April antwortete der Ministerpräsident auf den offenen Brief der Kinder. Erwartungsgemäß wird er das Lager nicht schließen, stattdessen ein Bushaltehäuschen bauen lassen, damit die Kinder, die eh kein Geld zum Busfahren haben, bei Regen nicht naß werden. Der Brief wird den Kindern am 21. Juni von der Kinderkommission im Lager übergeben.