Dokumentation:

AZ-Gruppe besetzt Lutherhaus und Polizei räumt
Pressemitteilung der Gruppe für ein Autonomes Zentrum:

Osnabrück, 3. Oktober 04

Wir hatten heute das Lutherhaus besetzt! – Die Forderung nach einem AUTONOMEN ZENTRUM bleibt

Die Besetzung des Lutherhauses dauerte leider nur 2 Stunden von 5 bis 7 Uhr morgens. Dann wurde die Scheibe einer Nebentür von der Polizei eingeschmissen und das Haus durch von überall her zusammengezogenen Beamten geräumt. Die BesetzerInnen leisteten keinen Widerstand. Schon beim Eindringen in das Haus wurde darauf geachtet, daß es zu keinen größeren Sachbeschädigungen kam. Es wurde sehr viel Wert darauf gelegt, die Aktion gewaltfrei durchzuführen.
Wir BesetzerInnen sind Mitglieder der AZ-Gruppe, der Gruppe, die jetzt seit ca. drei Jahren sehr konkret mit der Stadt Osnabrück in Verhandlungen über die Einrichtung eines „Autonomen Zentrums“ steht, und die seit über zwei Jahren ein provisorisches „Autonomes Zentrum“ in einem Zelt und ein paar Bauwagen auf einem Gelände am Fürstenauer Weg betreibt.
Wir wollten mit dieser Aktion darauf aufmerksam machen, daß der Bedarf nach einem Zentrum in Selbstverwaltung nach wie vor besteht, und wir wollten darauf aufmerksam machen, daß es auch Immobilien gibt, für die über längere Sicht kein Nutzer gefunden wird, die aber durchaus für einen Zentrumsbetrieb geeignet wären.
Wir starteten diese Aktion jetzt, weil uns ab November selbst die Nutzung des Platzes am Fürstenauer Weg verweigert werden soll und wir auf die Dringlichkeit bei der Suche nach einer Alternative aufmerksam machen wollen und müssen. Denn sonst bleibt uns zum Ende des Jahres gar nichts mehr. Und das wäre schade. Denn der Betrieb eines Zentrums ganz in Selbstverwaltung und ohne Abhängigkeit von öffentlichen Geldern funktioniert sehr gut, das hat uns die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt.
Vor ca. drei Jahren haben wir den verantwortlichen PolitikerInnen der Stadt ein Konzept vorgelegt, in dem wir die Idee der Selbstverwaltung darlegten. Das Konzept beschreibt die Möglichkeit der völligen Selbstfinanzierung eines sozialen, kulturellen und politischen Treffpunktes. Darüber hinaus legten wir auch die inhaltlichen Gründe für die gesellschaftliche Relevanz des Projektes dar. Selbstverwaltung bedeutet für uns selbstbestimmte Entscheidung, ohne daß diese von übergeordneten Gremien abgenommen werden. Die NutzerInnen des Zentrums bestimmen selbst, wie das Zentrum gestaltet wird und welche Aktivitäten stattfinden. Dazu ist ein ständiger Prozeß der Auseinandersetzung nötig, der dazu führt, tatsächlich selbst für die eigenen Belange einzutreten. Wir halten das gerade in der heutigen gesellschaftlichen und politischen Situation für sehr erforderlich. Politikmüdigkeit, Interesselosigkeit und Resignation macht sich bei den BesucherInnen und BetreiberInnen des Autonomen Zentrums nicht bemerkbar.
Mit unserem Konzept wurden wir allerdings absolut nicht ernst genommen und ohne eine vernünftige Auseinandersetzung wurde es abgelehnt. Nur der Gesprächsbereitschaft des Jugendamtes und des Jugenddezernenten war es zu verdanken, daß wir wenigstens in dem Provisorium des Zeltes auf dem städtischen Gelände am Fürstenauer Weg unser Konzept zumindest teilweise in Realität umsetzen konnten. Wir mussten dafür viele Kompromisse eingehen, wozu wir auch bereit waren. Wir haben am Fürstenauer Weg z.B. weder Strom noch Wasser, geschweige denn geheizte Räume. Dennoch haben wir die Zeit genutzt, ein völlig selbstverwaltetes Projekt auf die Beine zu stellen, so daß wir heute in der Lage sind, nicht nur ein Konzept vorzuweisen, sondern auch den Beleg antreten zu können, daß dieses Konzept durchführbar ist. In der ganzen Zeit haben wir keinerlei finanzielle Zuwendung für die Durchführung des Projektes bekommen, alles was benötigt wurde, wurde durch ehrenamtliche Arbeit selbst erwirtschaftet. In den letzten Jahren wurden vielfältige Veranstaltungen organisiert und durchgeführt, ohne daß das Interesse nachgelassen hätte. Für das Projekt haben sich im Laufe dieser Zeit jede Menge UnterstützerInnen aus allen gesellschaftlichen Kreisen gefunden. Bei den vielfältigen Veranstaltungen hatten wir Besucherinnen und Besucher aus der ganzen Stadt, die sich sehr interessiert für das Projekt zeigten.
Es ist uns deshalb unverständlich, warum von Seiten der Mehrheitsfraktionen des Stadtrates immer noch keine Auseinandersetzung mit dem Projekt und dem Konzept stattfindet, stattdessen dafür gesorgt wurde, daß die Stadt Osnabrück den juristischen Weg beschreitet, der nun dazu geführt hat, daß wir bis Ende Oktober das Gelände am Fürstenauer Weg verlassen sollen, ohne daß ernsthaft nach einer Alternative gesucht werden konnte. Verlassen wir das Gelände nicht, folgt die Zwangsräumung. Ihre Haltung bestätigten die Fraktionen von CDU und FDP noch einmal sowohl in dem Artikel der NOZ vom 30. September 2004 als auch in der Jugendhilfeausschusssitzung desselben Tages. Ohne irgendeinen Beleg werden wir als Menschen dargestellt, „die müssen sich über alle Regeln hinwegsetzen“. Wenn das der Wahrheit entspräche, hätten wir mit Sicherheit nicht so lange das Projekt durchführen können. Die Argumentation bleibt plump und vor allem wenig inhaltlich. Sie wird von Katharina Schlattner von der CDU folgendermaßen auf den Punkt gebracht: Die CDU hätte das Projekt nicht gewollt und sie hat mit ihren Mehrheiten dagegen gestimmt. Außerdem sei das Projekt nicht realisierbar. Die CDU hat also noch nicht einmal registriert, daß das Autonome Zentrum bereits real existiert. Von den politischen Mehrheiten haben wir also nichts zu erwarten, noch nicht einmal die Fähigkeit der Auseinandersetzung. Die weiter angebotene Gesprächsbereitschaft der Stadtverwaltung nützt uns da nicht viel. In der jetzigen Situation blieb uns also nichts weiter, als selbst in Aktion zu treten.
Warum das Lutherhaus:
Das Lutherhaus steht nun schon seit einem Jahr leer, seitdem das neue Gemeindehaus der Katharinenkirche eröffnet wurde. Seitdem das Haus im Jahr 2001 an den Kirchenkreis Osnabrück verkauft wurde, wird ein Investor für das Haus gesucht. Ein solcher hat sich bis heute nicht gefunden. Das dürfte auch weiterhin nicht so einfach sein, denn für das sanierungsbedürftige Haus in seiner jetzigen Form eine Nutzung zu finden ist nicht so leicht. Aber auch für einen Abriß, der durchaus möglich ist, denn obwohl das Haus seit 1928 steht, ist es nicht denkmalgeschützt, dürfte sich nicht so einfach jemand finden lassen, denn das Grundstück ist aufgrund seiner Lage sehr teuer.
Was wäre nun dagegen einzuwenden gewesen, wenn wir in der Zeit, in der kein Investor gefunden wird, einen Pachtvertrag erhielten, um unser Projekt weiter zu führen? Das Lutherhaus wäre wieder belebt und der Kirchenkreis könnte sich die teure Instandhaltung für das Haus sparen. Darüber hinaus bekämen auch die BewohnerInnen des Stadtteils Wüste einen unkommerziellen Treffpunkt.
Wir hätten mit dieser Aktion allerdings nicht darauf bestanden, daß es dieses Haus sein muß. Wir sind nach wie vor bereit, weiter zu verhandeln, um zu einer Lösung ohne Eskalation zu kommen. Wir können und wollen nicht akzeptieren, daß auf der einen Seite von fast allen gesellschaftlichen Kreisen das Engagement der AZ-Gruppe gelobt wird und vielen unverständlich ist, daß das Projekt nicht weiter geführt werden kann, uns auf der anderen Seite aber jegliche Chance genommen wird, weil die Mehrheiten im Stadtrat nun mal so sind. Es ist nicht hinzunehmen, daß nur die parlamentarische Zählmehrheit zählt, nicht aber die gesellschaftliche und politische Relevanz.