Aufruf

zu einer öffentlichen gewaltfreien Inspektion und Demonstration

am Abschiebelager in Bramsche-Hesepe - 24. September 2005

Wer Menschen in Lager steckt,

erniedrigt sie als Menschen,

kappt ihre Chancen, menschlich zu leben

 

Deshalb rufen das Komitee für Grundrechte und Demokratie in Kooperation mit dem Anti-Lager-Netzwerk  zu einer öffentlichen gewaltfreien Inspektion und Demonstration

am Abschiebelager in Bramsche-Hesepe bei Osnabrück auf

am Samstag, den 24. September 2005

Treffpunkt: 12.00 Uhr Bahnhof Bramsche- Hesepe: Kundgebung und Demonstrationsbeginn

voraussichtliches Ende des Aktionstages: 18.00 Uhr

 

Warum demonstrieren wir in Bramsche?

 

Das ehemalige „Grenzdurchgangslager“ für Spätaussiedler ist seit dem Jahre 2004 mit 550 Plätzen das größte Abschiebelager in der Bundesrepublik Deutschland. Heute wird das Sammellager weniger erinnerungsbelastend als „Gemeinschaftsunterkunft“ für Asylsuchende betrieben (Außenstelle der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde - ZAAB Oldenburg). Es ist ein Lagermodell mit einer eigenen ausgefeilten Konzeption, das wie die repressiven „Ausreisezentren“ zu einem Standardmodell unter den Lagereinrichtungen in der BRD werden könnte. Denn das niedersächsische Innenministerium preist unermüdlich den Erfolg dieser Lagereinrichtung. Aus dem Lager Bramsche wurden im letzten Jahr 358 Asylsuchende „zurückgeführt“. So heißt es täuscherisch im Behördendeutsch. 95 Personen seien „freiwillig ausgereist“, 55 Personen hätten an aufnahmebereite Drittstaaten überstellt werden können. Die anderen Personen wurden abgeschoben (Drs. 15/1749). Das Land Niedersachsen verwehrt sich gegen die Behauptung, die „Gemeinschaftsunterkunft“ in Bramsche-Hesepe sei tatsächlich ein Abschiebelager.

 

Ein Lager zur Förderung der „Ausreisebereitschaft“

 

Alle für die Asylsuchenden lebenswichtigen Behörden haben ihren Sitz im Lager: von der Verwaltung ihrer Asylgesuche bis zur sozialamtlich festgesetzten Minimalversorgung ihrer Grundbedürfnisse wird alles innerhalb des Lagers organisiert. Besuchten bis vor kurzem viele Kinder noch Schulen außerhalb des Sammellagers, so ist inzwischen sogar eine kleine Lagerschule eingerichtet worden, welche sie - nach offizieller Begründung – erst auf die Bildungsanstalten jenseits des Lagerterrains vorbereiten soll, so sie nicht das Lager und Deutschland vorher verlassen müssen. Das ist häufig der Fall.

 

Die Asylsuchenden dürfen das zaunbewehrte Lager zwar durch eine kontrollierte Lagerpforte verlassen, ihr Alltag jedoch wird stets von ihm bestimmt. Sie können sich den ein- und ausschließenden Funktionen des Lagers nicht entziehen. Sie müssen immer wieder ins Lager zurückkehren, um ihre Asylangelegenheiten regeln und um ihre minimalen sozialen Ansprüche geltend machen zu können: Unterkunft, Nahrung, Kleidung und ambulante medizinische Hilfe erhalten sie nur dort. Ihr karges Taschengeld von weniger als 40,- Euro monatlich erlaubt kein Leben außerhalb der Lagergrenzen.

 

Die Menschen im Lager sind begrenzt mobil und festgesetzt zugleich: mobil festgesetzt. Die Lagertatsache der Festsetzung dominiert und definiert ihr Leben. Ihre Bewegungsfreiheit wird zusätzlich durch die gesetzliche Residenzpflicht auf den Landkreis oder Regierungsbezirk beschränkt. Sie bleiben räumlich eingeschlossen. Grundlegende Menschenrechte sind also ver-lagert.

 

Die Konzeption des Lagers befördert die soziale Isolation der Flüchtlinge und die Ghettoisierung nach außen. Dazu trägt der abseits von der übrigen Wohnbevölkerung gelegene Lagerort in Bramsche-Hesepe bei. Die Asylsuchenden werden größtenteils aus den niedersächsischen zentralen Anlaufstellen für Asylsuchende in Oldenburg und Braunschweig, ebenfalls große Lagereinrichtungen, überstellt. In diesen müssen sie die ersten Monate in Deutschland verbringen. Sie leben von Lager zu Lager. Dadurch sind sie weitgehend von Alltagserfahrungen und -begegnungen mit der ansässigen Bevölkerung abgeschnitten. Das Lager funktioniert desintegrierend. In der Begründung der Landesregierung für dieses Lagermodell heißt es u.a., die Asylsuchenden werden statt in Kommunalgemeinden in Gemeinschaftsunterkünfte (Lager) eingewiesen und untergebracht, damit sich ihr „unberechtigter Aufenthalt“ nicht verfestige und verlängere. In den Kommunen nehme ihre Bereitschaft zur „freiwilligen Ausreise“ ab. (Drs. 15/1749)

 

Ein Abschiebelager

 

Die Asylsuchenden werden ins Lager Bramsche-Hesepe mit der Absicht eingewiesen und festgesetzt, sie zur „freiwilligen Ausreise“ lagerverbracht weichzuklopfen. Sie sollen rasch wieder außer Landes befördert werden können. Die Flüchtlingsverwaltung nimmt an, dass ihre Asylverfahren wenig oder keine Aussicht auf Erfolg haben. Sind die Verfahren rechtskräftig abgeschlossen und wird ein Bleiberecht verwehrt, sind die Asylsuchenden zur Ausreise verpflichtet. Kommen sie dieser justiziell aufgeherrschten Pflicht nicht nach, können sie zwangsweise abgeschoben werden. Abschiebungen, die immer mit Zwang einhergehen, erfolgen auch aus dem Lager in Bramsche heraus. Polizeilich kann dort auf die Asylsuchenden mühelos zugegriffen werden. Die Lagerbediensteten versuchen diese asylrechtlich ausgesteuerten Flüchtlinge zur „freiwilligen Ausreise“ zu drängen. Das Taschengeld wird ihnen gekürzt oder gänzlich entzogen. Kleinere Arbeitsgelegenheiten werden ihnen verwehrt. Sie sollen repressiv für die Ausreise gefügig gemacht werden.

 

Im Lager Bramsche will man jedoch auch die „freiwillige Ausreise“ jener Asylsuchenden fördern, deren Verfahren formal noch nicht abgeschlossen, aber als aussichtslos prognostiziert wird. Das setzt ihre dauernde Verfügbarkeit voraus. Auch diese Asylsuchenden, kaum in Deutschland angekommen, werden kontinuierlich und intensiv mit dem Ziel der „freiwilligen Ausreise“ „beraten“. Wer sich dazu schließlich bereit erklärt und seinen Asylantrag zurückzieht, der kann an beruflichen Trainingsmaßnahmen in den lagereigenen Werkstätten teilnehmen oder sein Taschengeld durch „Ein- Euro-Arbeitsmöglichkeiten“ im Lager und in der Kommune aufbessern.

 

Eine wirkliche freiwillige Ausreise setzt jedoch eine tatsächliche Alternative voraus: bleiben zu können. Diese Alternative ist und wird nicht gegeben. So wie das Lager nicht wirklich offen ist, so erfolgen die „freiwilligen Ausreisen“, zu denen das Lagerpersonal zielgerichtet und sanktionsbewehrt berät, nicht wirklich freiwillig. Sie werden in einem vorsätzlich geschaffenen Klima existenzieller Ausweglosigkeit abgepresst.

 

Die Menschen im Lager

 

Sie, die zu Lagermenschen gemacht werden, leben im Lager auf engem Raum, multiethnisch und konfliktreich zwangsvergemeinschaftet, und unter ständiger Kontrolle. Sie leben in reglementierten Rhythmen des Lagers ohne Beschäftigungsmöglichkeiten. Ihre Zukunftsperspektive ist unsicher. Sie leben in einen rechtlichen Ausnahmezustand, in zeitlich unbegrenzter Ungewissheit, wie über ihr Fluchtschicksal letztlich entschieden wird, und unter permanenter Angst, abgeschoben zu werden. Ihre Möglichkeiten, die eigenen Lebensbedingungen im Lager selbst zu gestalten, sind extrem eingeschränkt. Sie leben zwangsweise in hilfebedürftiger Abhängigkeit von den Versorgungseinrichtungen der Lagerverwaltung. Sie sind auf ein bloßes Leben in dauernder Unsicherheit zurückgeworfen, das ihre Lebensenergien verzehrt. Diese Lebensbedingungen im Lager machen krank. Sie fördern und verstärken vielerlei Krankheiten. Das hat eine Untersuchung der Universität Osnabrück zusätzlich zu den vielen entmenschlichenden Lagererfahrungen des 20. und nun schon des 21. Jahrhunderts festgestellt. Wer Menschen in Lager steckt, missachtet sie als Menschen. Er entzieht ihnen die nötige Basis menschlich zu leben. Noch sind sie da, mitten in Deutschland im Lager Bramsche-Hesepe, aber schon so gut wie ausgereist oder abgeschoben. Menschen mit „rechtsstaatlich“ ausgehöhlten Rechten im von deutscher Staatsgewalt erzeugten existenziellen Ausnahmezustand.

 

Es ist nicht leicht, Protest und Widerstand im Lager zu organisieren. Dennoch haben Flüchtlinge in Bramsche-Hesepe immer wieder gegen ihre Lagerunterbringung und deren kränkende und krank machende Wirkung protestiert, Blockaden der Lagerpforte organisiert und Kontakte nach draußen zu Unterstützergruppen geknüpft. Diese Gruppen sind zwar rar. Aber es gibt sie in Osnabrück und im Umland. Sie unterstützen die Asylsuchenden in ihrem legitimen Aufbegehren, helfen solidarisch und verleihen ihnen eine Stimme in der Öffentlichkeit. So auch das Anti-Lager-Netzwerk, ein Zusammenschluss bundesweit arbeitender Initiativen gegen die Existenz von Lagern. Es ist an der Zeit, dass sich auch andere gesellschaftliche Gruppen und Organisationen dem Protest gegen die Lager in Deutschland anschließen. Wir haben diesen Aktionstag auch initiiert, um die Flüchtlinge und Initiativen vor Ort ein wenig zu unterstützen.

 

 

Was heißt gewaltfreie öffentliche Inspektion?

 

Wir wollen mit möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern das Lager Bramsche-Hesepe besichtigen und mit den Menschen, die dort zu leben gezwungen sind, und denen, die dort arbeitend ihr Einkommen verdienen müssen, über ihre Sicht auf das Lager sprechen. Das schließt Verantwortliche aus Politik und Verwaltung, Bürgerinnen und Bürger aus Bramsche mit ein. Wir wollen die staatlich gewollte Isolation und Desintegration der Flüchtlinge wenigstens für einen Tag durchbrechen. Wir hoffen damit Bürgerinnen und Bürger, die sich und damit die Grundrechte anderer ernstnehmen, für die Abschaffung aller Lager gewinnen zu können. Werden wir nicht ins Lager gelassen, organisieren wir eine belagernde Zusammenkunft vor den Toren des Lagers und laden die Umlagerten ein, zu uns herauszukommen. Wir hoffen für ein paar Stunden die „Schattenlager“ in Deutschland dem kritischen Licht der Öffentlichkeit aussetzen zu können. Dazu sind alle eingeladen, mit Herz, Phantasie und Verstand beizutragen und sich für die ersatzlose Schließung des Lagers Bramsche-Hesepe einzusetzen, exemplarisch für die vielen Lager in der BRD. Dieser Protest gegen die Gewalt der Lager erfolgt einzig dann unserem Ziel - eine BRD und eine Welt ohne Lager - angemessen, wenn er in Formen praktisch umgesetzter Menschenrechte radikaldemokratisch und gewaltfrei geschieht.

 

Lager müssen abgeschafft werden!

 

Menschenrechtlich angemessen mit schutzsuchenden Flüchtlingen umzugehen, heißt vor allem: ihnen menschenwürdige Wohnungen zur Verfügung zu stellen; ihnen ausreichend Zeit für unabhängige Beratungen einzuräumen; ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dass sie ihr Leben selbstbestimmt führen, Kontakte und Arbeit aufnehmen können, so dass sie ihren eigenen Unterhalt bestreiten können; sie nicht in Lager zu stecken und sie damit einem rechtlichen und existenziellen Ausnahmezustand auszusetzen; sie nicht in abhängiger Unsicherheit und Perspektivlosigkeit zu halten, sie nicht zu unmündigen Objekten der Flüchtlingsverwaltung zu degradieren; sie nicht auf ein „bloßes Leben“ im Lager zu reduzieren. Lager in all ihren verschiedenen Gestalten sind mit den Grund- und Menschenrechten unvereinbar.

 

Heute besteht in und vor Europa wieder ein Universum von Lagereinrichtungen. Dieses ist vor allem gegen jene Menschen gerichtet, die den politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Verwerfungen neoliberaler Globalisierung zu entfliehen suchen. Ihre Migration soll unterbunden werden. Nur noch wenigen der unerwünschten Flüchtlinge gelingt es überhaupt, die festungsgleichen Grenzen und exterritorialen Lagerorte zu überwinden. Auch hier in der EU werden sie, ist man ihrer habhaft geworden, gleich wieder in Lager gesteckt. Im Aufruf des Komitees für Grundrechte und Demokratie vom Mai 2005 „Wider die Errichtung von Lagern in der Bundesrepublik Deutschland und der EU“, den bislang schon viele Bürgerinnen und Bürger unterzeichnet haben, heißt es: „Nur wenn wir Bürgerinnen und Bürger zukunftgerichtet, der Vergangenheit eingedenk, mehr für die Grund- und Menschenrechte tun, gegen Lager aller Art an erster Stelle, können wir die Welt, in der wir leben, demokratisierend ein Stückweit mitbestimmen. Nur dann können wir auch die Repräsentanten etablierter Politik vielstimmig dazu bringen, eine Politik der Ver-lagerung von Demokratie und Menschenrechten zu beenden und alle Lagereinrichtungen aufzulösen.“

(siehe: http://www.grundrechtekomitee.de/ub_showarticle.php?articleID=155&print=TRUE)

 

Weitere Informationen über das Lager in Bramsche-Hesepe und Kontakt in Osnabrück für den Aktionstag und für weitere Zusammenarbeit: Avanti! e.V. Tel: 0541-750 87 97 Email: avantimail@web.de

www.avanti-os.de