Osnabrücker Bündnis gegen Abschiebung

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Osnabrück, 28. August 03

Pressemitteilung zur geplanten Aufstockung der Zahl der AsylbewerberInnen in dem Flüchtlingslager in Bramsche-Hesepe:

Wie verschiedenen Artikeln der Neuen Osnabrücker Zeitung und der Bramscher Nachrichten zu entnehmen ist, plant das Land Niedersachsen eine Erhöhung der Zahl der Plätze für AsylbewerberInnen im ehemaligen Grenzdurchgangslager Bramsche-Hesepe von 181 auf 550. Diese Regelung wird voraussichtlich ab Oktober diesen Jahres in Kraft treten. Ab diesem Zeitpunkt sollen laut Presse vom 25. Juli nur noch Flüchtlinge in dem Lager untergebracht werden, die Plätze für jüdische ImmigrantInnen und für AussiedlerInnen entfallen. Zur Begründung werden in dem Presseartikel vom 17. Juli Kosteneinsparungen genannt. Mittlerweile bestätigte Hans-Hermann Gutzmer (Leiter des Referats Ausländer und Asylrecht des niedersächsischen Innenministeriums) in einem Schreiben an den niedersächsischen Flüchtlingsrat (18.8.03) die Planung. Auch in seinem Schreiben liegt die Begründung in erster Linie bei finanziellen Erwägungen, er benennt hier die Ausschöpfung der Kapazitäten von Landeseinrichtungen.

Die Einrichtung in Bramsche-Hesepe hat seit ihrem Bestehen (November 2001) eine eigene Stellung unter den Flüchtlingslagern. Die „Plätze für abgelehnte Asylbewerber, die nicht sofort abgeschoben werden können“ wurden in dem Lager eingerichtet, weil diesem sonst die Schließung gedroht hätte. Es waren also arbeitsmarktpolitische Erwägungen, mit der die Teilumwandlung des ehemaligen Grenzdurchgangslagers zur Außenstelle der ZAST Oldenburg begründet wurde. Damals wie heute ging es bei der Einrichtung des Lagers nicht um das Schicksal von Menschen auf der Flucht, sondern um Zahlen. Zahlen von Plätzen, die für eine Rentabilität belegt sein müssen und Zahlen von Arbeitsplätzen für die Region. Herr Gutzmer weist in seiner Antwort auf eine Anfrage des niedersächsischen Flüchtlingsrates vom 18.8.03 ausdrücklich darauf hin, dass die Landesregierung insbesondere dafür verantwortlich sei, daß „die Ziele der einschlägigen Gesetze erreicht werden, die öffentlichen Finanzen geschont werden und die Fürsorgepflicht für die Beschäftigten wahrgenommen wird“.

Verantwortung für die Flüchtlinge?

Nicht erwähnt wird in den bisherigen Verlautbarungen die Situation der betroffenen Flüchtlinge, die unter Lagerbedingungen leben müssen. In der Presseveröffentlichung über das Lager vom 17. Juli erklärt ein Sprecher des Innenministeriums, dass „dort der Wohnkomfort deutlich schlechter und der Drang, eine andere Unterkunft zu finden, größer sei“.

Diese Darstellung des Innenministeriums vermittelt den – falschen – Eindruck, die Flüchtlinge im Lager Bramsche hätten die Wahl, sich eine Unterkunft außerhalb des Lagers zu suchen, das ist ihnen jedoch per Gesetz verboten. Deshalb kann die Aufforderung, „eine andere Unterkunft zu finden“, nur heißen, dass die Flüchtlinge „freiwillig“ in ihr Herkunftsland zurückkehren, was bei vielen aufgrund ihrer Verfolgungssituation nicht möglich ist, oder aber in die Illegalität gehen. Letzteres hat ein nicht unwesentlicher Teil der bislang nach Bramsche-Hesepe geschickten Flüchtlinge bereits vollzogen, im Jahr 2002 waren nach Angaben des Nds. Innenministeriums von den 309 Flüchtlingen, die das Lager Bramsche verließen, 50 Menschen „freiwillig“ ausgereist und 66 Menschen „untergetaucht“. Dabei ist für viele der im Abschiebelager Bramsche untergebrachten Flüchtlinge ein Verschwinden in der Illegalität überhaupt nicht möglich, da in dem Lager neben alleinreisenden Flüchtlingen Familien mit zum Teil sehr kleinen Kindern untergebracht sind, und auch alleinreisende minderjährige Flüchtlinge.

Eine Sprecherin des Osnabrücker Bündnis: „Wo bleibt die Verantwortung der Landesregierung gegenüber den Flüchtlingen, für eine humanitäre Flüchtlingspolitik? Die Darstellung des Innenministeriums ist unseriös, denn sie vermittelt den Eindruck, die Flüchtlinge hätten eine Alternative zum Lager Bramsche. Das „freiwillige“ Verlassen des Lagers zum Ziel der Lagerunterbringung zu erklären, ist angesichts der Realität zynisch und menschenverachtend, u.a. weil es Illegalisierung legitimiert.“

Ebenfalls unseriös ist die pauschalierende Darstellung, im Lager befänden sich „abgelehnte“ Asylbewerber. In dem Abschiebelager in Bramsche-Hesepe sind zum größeren Teil Flüchtlinge untergebracht, deren Asylverfahren noch nicht beendet ist. So findet allein mit der Einweisung in das Lager eine Art Vorverurteilung statt, was den Ausgang des Asylverfahrens angeht. Dieses bestätigte Herr Gutzmer in seiner Antwort an den Niedersächsischen Flüchtlingsrat vom 18.8.03: „Dort können die Personen untergebracht werden, die aufgrund der Prognoseaussage des Bundesamtes keine Perspektive für eine Anerkennung als Asylberechtigte und damit für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland haben.“ Tatsächlich werden auch diese Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch gar nicht abgeschlossen ist, regelmäßig bei der Verlängerung ihrer Duldung in der lagereigenen Ausländerbehörde dazu gedrängt, ein Schreiben zur „freiwilligen Ausreise“ zu unterschreiben. Dieses „Drängen“ wird durch verschiedene Repressalien verstärkt, wie Streichung der 35 Euro Bargeld, die AsylbewerberInnen nach Asylbewerberleistungsgesetz erhalten können oder Streichung jeglicher Reiseerlaubnis usw. Den „deutlich schlechteren Wohnkomfort“ bestätigen alle Bewohner des Lagers, wobei „schlechter Wohnkomfort“ ein beschönigender Ausdruck ist für die Unterbringung in kleinen Räumen mit Etagenbetten, dem Kantinenessen, das auf längere Zeit weder gesund noch irgendwelchen kulturellen Gewohnheiten angepasst ist, für die mangelhafte ärztliche Versorgung bis hin zur Verweigerung von medizinischen Leistungen, für die schlechte schulische Versorgung der Minderjährigen usw.

Kinder im Lager

Die Kinder werden im Lager Bramsche-Hesepe wie erwachsene Flüchtlinge behandelt und unterliegen den gleichen Bedingungen. Diese Kinder, von denen einige ganz ohne Angehörige hier in Deutschland sind, haben nicht die gleichen Rechte wie alle anderen Kinder. Der deutsche Staat hat zwar die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert, die Kindern weltweit besondere Rechte einräumt, der deutsche Staat hat aber auch eine Vorbehaltsklausel zugefügt, die besagt, dass Flüchtlingskinder in Deutschland diese besonderen Rechte nicht haben sollen und wie Erwachsene behandelt werden. Das einzige „Recht“ welches auch Flüchtlings-Kinder in Bramsche-Hesepe haben, ist die Schulpflicht, der in Niedersachsen alle Kinder unterliegen. Deshalb gehen die Kinder aus dem Lager zur Zeit auf die verschiedenen Schulen in Bramsche und Hesepe. Zu Beginn der Einrichtung des Lagers war vorgesehen gewesen, in dem Lager eine Schule einzurichten, dieses Vorhaben wurde aus Kostengründen aufgegeben. Dadurch ergab sich für die Kinder die im Großen und Ganzen eher positive Situation, dass sie aus dem Lager herauskommen und Freundschaften auch mit Kindern aus Bramsche und Hesepe schließen. Mit der Aufstockung des Lagers wird es wahrscheinlich doch noch zur lagereigenen Schule kommen, zumindest „versprach“ Landesinnenminister Schünemann dieses bei einem Besuch in dem Lager am 21. August, wie den Bramscher Nachrichten zu entnehmen war. Damit wäre ein weiterer Schritt zur Abschottung der Flüchtlinge in dem Lager getan.

Deutlich werden diesbezüglich in ihren Aussagen CDU-Landrat Manfred Hugo und SPD-Bürgermeisterin von Bramsche, Liesel Höltermann. Wie den Bramscher Nachrichten vom 22. August zu entnehmen ist, halten sie es für überflüssig, dass selbst die Kinder für einen Schulbesuch das Lager verlassen - mit Hinweis auf „die in diesem Fall nicht gewünschte Integration der Kinder (...), die ja mit ihren Eltern abgeschoben werden sollen“. Innerhalb der Modellversuche für „Ausreiseeinrichtungen“ nimmt Bramsche-Hesepe eine Sonderrolle ein mit der Unterbringung begleiteter und unbegleiteter Minderjähriger.

Desintegrationspolitik

Eine klare Konzeption gibt es bis heute nicht für die Einrichtung in Bramsche-Hesepe, aber offensichtlich ein klares Ziel: die Abschiebung oder sog. „freiwillige Ausreise“ der dort untergebrachten Menschen. Die Existenz des Lagers wurde von Seiten des Innenministeriums mit dem Referentenentwurf des neuen Zuwanderungsgesetzes und den darin vorgesehenen „Ausreiseeinrichtungen“ gerechtfertigt, seine Zielsetzung wurde in diesen Kontext gestellt. (114. Plenarsitzung Nds. Landtag, 30.8.02). Von anderer Seite wird bestritten, dass es sich um eine „Ausreiseeinrichtung“ handelt.

Herr Gutzmer bestätigt in seinem Schreiben an den Flüchtlingsrat, mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern Desintegrationspolitik zu betreiben: „Das Leben in einer Gemeinde führt erfahrungsgemäß zu einer faktischen Verfestigung des Aufenthalts; die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise nimmt ab. Der Aufenthalt muss dann zwangsweise beendet werden. Die örtlichen Ausländerbehörden wiederum sind mit der Aufgabe der Beschaffung von Heimreisepapieren als Voraussetzung für eine Abschiebung oft überfordert und können nur eingeschränkt von staatlichen Stellen unterstützt werden. Der unberechtigte Aufenthalt verlängert sich, in vielen Fällen wird er gar nicht beendet.“ Was Herr Gutzmer sehr bürokratisch und Frau Höltermann und Herr Hugo sehr gefühlskalt umschreiben, ist die Tatsache, dass Flüchtlinge, die in den Gemeinden dezentral untergebracht sind, sich in die Gemeinschaft integrieren können und dies auch tun. Deshalb bekommt das Schicksal der Flüchtlinge für die Bevölkerung ein Gesicht. Viele Menschen können nicht verstehen, warum ihre Nachbarn/Mitschüler etc. in massive Existenzunsicherheit, mit evtl. drohender Verfolgung und womöglich sogar Tod, abgeschoben werden sollen und setzen sich für ein Bleiberecht ein. Werden Flüchtlinge in Lagern hinter Zäunen untergebracht, weit weg von der Wohnbevölkerung, wie das in Hesepe der Fall ist, ist es fast unmöglich, einen persönlichen Kontakt aufzubauen. Was allerdings sehr gut möglich ist, ist der beschriebene behördliche Druck, der auf die Flüchtlinge ausgeübt wird. Durch die nahtlose Lagerunterbringung gibt es außerdem für die Flüchtlinge keine unabhängige Beratung für das Asylverfahren mehr, seit die niedersächsische Landesregierung die unabhängige Verfahrensberatung in Erstaufnahmeeinrichtungen durch Wohlfahrtsverbände Ende 2001 kündigte. Es ist einmal mehr zu vermuten, dass Bramsche-Hesepe ein Modell für Flüchtlingslager in Deutschland ist, in dem ausprobiert wird, wie repressiv die Lagerpolitik betrieben werden kann. Die Entwicklung der Flüchtlingspolitik in der BRD bei der Unterbringung von Asylsuchenden geht eindeutig in Richtung Lagerunterbringung, trotz massiv gesunkener Flüchtlingszahlen. Dezentrale Unterbringung soll auf Dauer keine Rolle mehr spielen. Dass dieses der ausdrückliche Wille der niedersächsischen Landesregierung ist, machte Herr Gutzmer in seinem Schreiben deutlich, indem er bestätigt, dass das Konzept der Lagerunterbringung erlaubt, „mehr und mehr auf eine Verteilung der Asylbewerber auf die Kommunen zu verzichten.“ Das Ziel wäre: „Alle dem Land Niedersachsen zur Unterbringung zugewiesenen Asylbewerber könnten während der gesamten Dauer des Asylverfahrens in landeseigenen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.“ Flüchtlinge sollen möglichst nach ihrer Ankunft in Aufnahmelagern in andere Lager umverteilt werden, die dafür da sind, diese Menschen außer Landes zu schaffen. Diese Entwicklung findet nicht nur in Deutschland statt, sondern in ganz Europa. Sie ist ein Baustein der Abschottungspolitik Europas nach außen.

Die Lagerpolitik, wie sie hier in Bramsche-Hesepe durchgeführt wird, hat mit einer humanitären Flüchtlingspolitik kaum noch etwas zu tun. Die Ursachen weltweiter Fluchtbewegungen werden nicht dadurch bekämpft, dass die reichen Staaten ihre Grenzen schließen und auf regionaler Ebene ein Lagerregime installieren, das zum Ziel hat, Flüchtlinge außer Landes zu treiben.

In diesem Sinne fordern wir die Schließung des Abschiebelagers in Bramsche-Hesepe!

(Am Bündnis beteiligte Gruppen: Avanti!e.V., Bündnis 90 / Die Grünen – Landkreis Osnabrück, MitarbeiterInnen des Fachbereich Migration der Caritas, Exil e.V., SDAJ, SOLID)