Im Sommer 2000 verordnete die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes den sog. „Aufstand der Anständigen“. Gemeint war, dass die Zivilgesellschaft gegen den erstarkenden Rechtsextremismus Flagge zeigen soll. Warum das ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt geschah, mag dahingestellt bleiben. Das Problem des Rechtsextremismus zumindest war kein neues.

Dieser Aufruf schien zunächst tatsächlich Wirkung zu zeigen. In vielen Städten in Deutschland wurden Präventionsräte und Bündnisse gegen Rechts gegründet. Auch in Osnabrück wurde noch im selben Jahr ein solches Bündnis ins Leben gerufen. Das anfängliche Interesse war enorm, obwohl zu diesem Zeitpunkt eine funktionierende Nazibewegung in Osnabrück nicht wahrnehmbar war. Gesellschaftliche Gruppen aus allen Bereichen, Parteien, Vertreter und Vertreterinnen von Osnabrücker Firmen, die Justiz und die Polizei, alle wollten sie zu den Anständigen gehören.

Ich bin Mitglied der Gruppe Avanti!

Ich bin schon seit vielen Jahren politisch aktiv. Mit meinem Engagement möchte ich in gesellschaftliche Prozesse eingreifen, in der Art, dass Rassismus, Sexismus, autoritäre Strukturen und das an den Rand drängen von gesellschaftlichen Minderheiten auf Dauer keinen Platz mehr haben im Denken und Handeln der Menschen. Deshalb ist es für mich selbstverständlich,  Politikansätze gegen rechtsextreme Organisierung zu entwickeln und voranzutreiben. Organisierter Rechtsextremismus und rechtsextreme Gewalt, die auch vor Mord nicht zurückschreckt, sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Die Wurzeln der Situation, die wir in Deutschland, und nicht nur hier, haben, dass sich rechtsextreme Ideologie entwickeln und ausbreiten kann, gehen viel tiefer. Politik gegen Rechtsextremismus darf nicht bei einem bloßen „gegen Nazis“ stehen bleiben. So besteht der Hauptteil meines politischen antifaschistischen Engagements in der Analyse dieser Wurzeln und in der Auseinandersetzung mit den Menschen, um gemeinsam handlungsfähig zu werden für eine Gesellschaft, in der es keine Unterdrückung anderer Menschen mehr gibt.

Deshalb habe ich mich für die Gruppe Avanti! an dem Osnabrücker Bündnis gegen Rechts beteiligt und aktiv eingebracht.

Während das Bündnis im Jahr 2001 tagte, entwickelte sich in der Stadt und im Landkreis eine rechtsextreme Organisierung, die wir in der Form schon seit mehreren Jahren nicht mehr hatten. Das erste Mal bildete sich auch hier eine sog. „Freie Kameradschaft“, die in ihrem Umfeld einen enormen Zulauf hatte. In verschiedenen Landkreisgemeinden spitzte sich die Situation zu, Nazis trafen sich auf öffentlichen Plätzen und es wurden immer wieder für die Nazis unliebsame Menschen, vor allem Jugendliche, angegriffen. Gleichzeitig gingen die Rechtsextremen ein Bündnis mit der schon seit Jahrzehnten in Osnabrück bestehenden faschistischen NPD ein, so dass diese Partei, die vorher hier  nahezu bedeutungslos war, einen Zulauf bekam. Den ersten öffentlichen Auftritt hatten NPD und „Freie Kameradschaft“ bei einem Infostand, den sie im Mai 2001 in Bramsche durchführten.

Trotz dieser Entwicklung, die für jeden aufmerksamen Menschen sichtbar war, war es kaum möglich, diese Ereignisse in der Öffentlichkeit oder in dem Bündnis gegen Rechts zu thematisieren. Man muss leider feststellen, dass in dieser konkreten Situation einige Bündnispartner von der Problematik nichts wissen wollten, einige waren tatsächlich betroffen, aber es gab zumindest auch einen Bündnispartner, der aktiv dagegen arbeitete politisch gegen den erstarkenden Rechtsextremismus in Osnabrück vorzugehen: die Osnabrücker Polizei.  Der Staatsschutz spielte das Problem herunter, reduzierte die Nazis auf ein paar Irrläufer, die sich vor allem dem Alkohol widmen und leugnete die Verbindungen zur NPD. Ein Konstrukt, das sich mittlerweile auch von der Polizei nicht mehr aufrechterhalten lässt.  Stattdessen ging die Polizei zum Angriff gegen Links über. Dieses Vorgehen gipfelte in einem Gespräch, das der Leiter der Polizei im Dezember 2001 mit Vertretern der Gewerkschaft führte und bei dem er indirekt forderte, dass ich aus dem Bündnis auszuschließen sei.

Der Einfluss der Nazis ging unterdessen so weit, dass sie einen Jugendkeller, der von städtischen Sozialarbeitern betreut wird nutzten, um dort für ihre „Freie Kameradschaft“ und für Aktionen zu mobilisieren. Diesen Jugendkeller hatte das Jugendamt der Stadt Osnabrück von einer Kirchengemeinde übernommen, als diese mit den Jugendlichen dort nicht mehr klar kam. Als dieser Raum vorwiegend von rechtsextremen und rechtsorientierten Jugendlichen eingenommen wurde, versuchte der dort eingesetzte Sozialarbeiter eine Form der akzeptierenden Sozialarbeit, mit dem Ziel Jugendliche aus der rechtsextremen Szene herauszuholen. Dieses gelang jedoch bis heute nicht. Die organisierten Nazis sahen den Jugendtreff als Rekrutierungsfeld und im Sommer 2001 trafen sich dort zeitweise bis zu 150 Rechtsextreme und deren Umfeld.

Die Gruppe Avanti! forderte hartnäckig die Diskussion über diese Zustände ein. Und obwohl auch hier von Seiten der Polizei in aller Öffentlichkeit dieser Treffpunkt verharmlost wurde und behauptet wurde, die Nazis würden dort nicht agitieren, und statt dessen wieder einmal ich mit der gesamten Gruppe Avanti! als die eigentlichen Störfaktoren hingestellt wurden, blieben wir in der Auseinandersetzung mit dem Jugendamt der Stadt Osnabrück. Dieser Diskussion und unserer Politik ist es zu verdanken, dass die Kader der Kameradschaft des Raumes verwiesen wurden, damit sie dort nicht weiter ihre Ideologie verbreiten können. dass dieser Treff  für die Nazis durchaus eine Rolle spielt, musste dann auch das Jugendamt erfahren, es erhielt einen Brief von der faschistischen NPD, in dem diese mit Aktionen droht, falls die Stadt Osnabrück den Keller schließen würde.

Dieses soll nur ein Beispiel sein, für das, was ich darunter verstehe, Politik zu machen und sich in die gesellschaftlichen Verhältnisse einzumischen.

 

Am 23. März 2002 versammelten sich in der Innenstadt von Osnabrück Nazis der NPD aus den Verbänden Osnabrück und Münster, zusammen mit den Nazis der sog. Kameradschaft „Nationaler Widerstand Osnabrücker Land“, unterstützt von anderen Kameradschaften aus dem norddeutschen Raum, um dort ihre rassistische und menschenverachtende Propaganda zu verteilen. Diese öffentliche Versammlung fand mit Genehmigung der Behörden und unter dem Schutz der Polizei statt. Seit Beginn des Jahres hatten diese Gruppierungen in jedem Monat einen solchen Infostand im Kreis Osnabrück durchgeführt. Nur wenige Ordnungsämter versuchten im Vorfeld dieses zu verhindern. In der Stadt Osnabrück gab es keinen einzigen Versuch in diese Richtung. Stattdessen entschied sich die Polizei zu einem hohen Aufgebot, um das Treiben der Nazis zu schützen.

Warum?

Auch dieses Gericht wird die Meinung der anderen Behörden teilen, dass es ja keine Handhabe gegen die öffentlichen Auftritte der Nazis gibt, wenn diese unter dem Namen der NPD angemeldet werden, weil die NPD ja eine legale Partei ist. Das mag formaljuristisch richtig sein, politisch ist es eine Katastrophe. Und es ist halbherzig. Denn selbst wenn ich mich auf eure Paragraphen einlasse, komme ich zu dem Schluss, dass diese sog. rechtsstaatliche Demokratie einen Auftritt von Nazis nicht zulassen dürfte.

Nazis sind nicht nur eine politisch missliebige Minderheit, denen laut Grundgesetz Versammlungs- und Meinungsfreiheit zugestanden werden muss. Die Ideologie der Nazis ist eine Anschauung, der das Grundgesetz eine entschiedene Absage erteilt hat. Denn das Grundgesetz wurde geschaffen als Antwort auf die Beseitigung der Weimarer Demokratie durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Das Grundgesetz schützt zwar auch politisch missliebige Meinungen. Bei dem Gedankengut von Nazis geht es aber nicht um irgendeine „politisch missliebige Meinung“, vielmehr sind Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Ausländerfeindlichkeit als Kernpunkte faschistischer Ideologie solche, die mit den grundgesetzlichen Wertvorstellungen unvereinbar sind. Diese Kernpunkte faschistischer Ideologie werden als missliebige Meinung bagatellisiert, wenn den Nazis ein Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zugestanden wird.

Deshalb ist die Auffassung, es gäbe keine Handhabe gegen die öffentlichen Auftritte der Nazis, mit der diese dann zugelassen werden, zu leichtfertig. Selbst nach den Gesetzen dieses Staates.

Genauso leichtfertig ist es, zu behaupten, jeder und jede könne ja gegen die Nazis protestieren. Denn die Regeln für das Protestieren bestimmen nicht wir, sondern wie die Erfahrung gezeigt hat, in erster Linie die Polizei. Am 23. März, als die Nazis ungehindert ihre Propaganda verteilten, wurden gleichzeitig viele der GegendemonstrantInnen allein aufgrund ihres Erscheinungsbildes daran gehindert, in die Nähe der Nazis zu gelangen, um ihren Protest loszuwerden. Von mir wurde sogar vor dem Einsatz ein Foto bei den eingesetzten Polizeibeamten herumgereicht, damit sie mich auch ja erkennen. Und jetzt soll ich laut Auffassung der Staatsanwaltschaft und der Polizei den Landfrieden gebrochen haben. Welchen Frieden? Den Frieden, dass es besser ist, den Kopf in den Sand zu stecken, sich darauf zu berufen, dass Nazis in diesem Staat legal sind, um dann mit einem Achselzucken die Hände in den Schoß zu legen? Einen solchen Frieden kann ich nicht akzeptieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass jede Form der Organisierung von Nazis im Keim erstickt werden muss, damit sich ihre menschenverachtende Ideologie nicht ausbreitet. Von meiner antifaschistischen Grundeinstellung und von meiner Politik werden mich keine Paragraphen abhalten können.

Protest gegen Nazis, auch unter den geschilderten schwierigen Bedingungen, ist notwendig und nützlich. Nach dem öffentlichen Auftritt von NPD und Kameradschaft „Nationaler Widerstand Osnabrücker Land“ in der Innenstadt von Osnabrück am 23. März wollten die Faschisten in jedem Monat bis zur Bundestagswahl weitere Infostände in Osnabrück und Umgebung anmelden. Jeder der  durchgeführten Auftritte wurde von Protesten und einem entschiedenen antifaschistischen Auftreten den Nazis gegenüber begleitet. Das letzte mal waren sie am 27. Juli in Wallenhorst und Bramsche unterwegs. Da an diesem Tag die Polizei nicht über genügend Personal verfügte, um den Protest weiträumig abzuschirmen, wurden die Nazis stark bedrängt, und sie hatten ganz schön Angst. Danach meldeten sie noch einmal für den 7. September einen Infostand für die Osnabrücker Innenstadt an. Als ihnen das Ordnungsamt der Stadt Osnabrück mitteilen musste, dass auch an diesem Tag nicht genügend Polizeikräfte zur Verfügung stünden, zogen sie ihre Anmeldung zurück. Seitdem hat es keine Infostände der Nazis mehr gegeben.

Doch trotz dieser Erfolge antifaschistischen Widerstandes müssen wir auch heute noch feststellen, dass es faschistische Organisierung im Landkreis Osnabrück gibt. Nach wie vor werden vor allem Jugendliche von Nazis bedroht und nach wie vor arbeiten die regionalen Nazigruppen mit überregionalen Verbänden zusammen und besuchen gemeinsam Veranstaltungen und Aufmärsche. Im Raum Osnabrück wurden in den letzten Monaten mehrere Nazikonzerte angemeldet, von denen einige auch durchgeführt wurden. Neben dem, dass also z.B. von den Osnabrücker Nazis ein Bus für den Aufmarsch am 1. Mai in Berlin gechartert wurde, und dem dass sich die Nazis z.B. in die Friedenskette am 29. März zwischen Osnabrück und Münster einreihten, liegt der Hauptpunkt der Aktivität zur Zeit bei der Organisierung von Rechtsrockkonzerten. Solche Konzerte spielen bei der Rekrutierung neuer Anhänger eine wichtige Rolle für die Nazibewegung. Und wieder zeigt sich das gleiche Bild. Ein Nazikonzert, das am 23. März in Hagen stattfinden sollte, wurde abgesagt, nachdem wir dieses über Pressearbeit und Gesprächen mit dem Besitzer des Veranstaltungsraumes in die Öffentlichkeit gebracht hatten. Andere Konzerte fanden Anfang diesen Monats statt, aus verschiedenen Gründen hatten wir keine Möglichkeit, zu diesen Veranstaltungen die Öffentlichkeit zu informieren. Nichts desto trotz wusste auch über diese Konzerte die Polizei bescheid, beschränkte sich aber darauf, ihre Einsatzkräfte vor das Lokal zu stellen und die Nazis zu beobachten. Das ist genau das Vorgehen, das den Faschisten ermöglicht, sich auf der Straße und sonst wo breit zu machen.

Denn es bleibt dabei: Wegleugnen und Wegschweigen lässt sich das Problem des Rechtsextremismus nicht.

Am wichtigsten ist es aber, politisch gegen die Verhältnisse vorzugehen und positive Ansätze zu entwickeln. Ein positiver Ansatz, der in Osnabrück zur Zeit eine enorme Resonanz findet, ist das Schaffen von Freiräumen, in denen sich Menschen völlig selbstbestimmt ohne autoritäre Strukturen entwickeln können. Die konkrete Forderung dazu ist die Einrichtung eines Autonomen Zentrums für Osnabrück. Diese Forderung besteht schon seit vielen Jahren, und im Jahr 2002 kam es erneut zu Verhandlungen mit der Stadt Osnabrück. Der Idee des Autonomen Zentrums liegt ein ausführliches Konzept zugrunde, das detailliert schildert, wie die basisdemokratische Arbeit in dem Zentrum als Präventionskonzept gegen Rechtsextremismus funktioniert. Dieses Konzept wurde sowohl dem Fachbereich Kinder Jugend und Familie als auch allen Stadtratsfraktionen vorgelegt.

Nachdem sich im April 2002 der Jugendhilfeausschuss geweigert hatte, überhaupt über das Projekt zu verhandeln – die Ablehnung kam durch die CDU/FDP - Mehrheit zustande –  blieb die Initiative für das Autonome Zentrum zumindest mit der Stadtverwaltung über den Sommer hinweg im Gespräch, so dass der Punkt „Einrichtung eines Autonomen Zentrums“ am 7. November noch einmal auf die Tagesordnung der Jugendhilfeausschusssitzung kam. Auf dieser Sitzung sollte zuvor über den gemeinnützigen Verein Avanti! verhandelt werden, der als Trägerverein für das Projekt in Frage kommt. Der Verein musste zunächst als sog. „Träger der Jugendhilfe“ anerkannt werden, um alle Voraussetzungen eines Trägervereins zu erfüllen. Auch dieses Mal wusste die CDU die Abstimmung zu verhindern, weil die Fraktionsmitglieder meinten, es sei noch nicht hinreichend geprüft, ob der Verein ausreichend verfassungstreu ist. Ein solches Vorgehen ist in der Geschichte der Anerkennung von Vereinen als Träger der Jugendhilfe zuvor noch nie vorgekommen. Genützt hat die Blockadehaltung der CDU allerdings nichts, seit dem November 2002 ist der Avanti! eV anerkannter Träger der Jugendhilfe.

dass sämtliche BesucherInnen der Jugendhilfeausschusssitzung am 7. November 2002 stinksauer waren, ist ja wohl klar. Trotz Verhandlungen und unglaublich positiver Resonanz in der ganzen Stadt, wurde die Entscheidung über die Einrichtung eines Autonomen Zentrums ein weiteres mal vertagt.

Deshalb wurde es im Ratssitzungssaal ziemlich laut. Als jedoch der Vorsitzende der Sitzung die Polizei rief, verließen alle ProtestiererInnen den Saal. Und erst als alle draußen waren und sich die Tür zum Ratssitzungssaal  geschlossen hatte, griff die Polizei mit völlig überflüssiger Gewalt ein und eskalierte die Situation. Es bleibt der Eindruck, dass hier nur ein weiteres Mal für die Öffentlichkeit das Bild der sog. „gewaltbereiten Chaoten“ aufgebaut werden sollte.

Der Kampf um das Autonome Zentrum geht weiter. Das Konzept wird trotz Ablehnung durch die CDU schon seit einem Jahr konkret umgesetzt. Und dieses Jahr hat gezeigt, dass das Konzept nicht nur eine Theorie ist, sondern auch in der Praxis funktioniert.

 

Ich bin sicher, dass es sich lohnt, für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der rassistische und faschistische Grundsätze keinen Platz mehr haben werden. Wenn mich deshalb die Behörden dieses Staates anklagen, dann müssen sich die Behörden fragen, wofür sie eigentlich stehen, den Frieden habe nicht ich gebrochen, er war schon vorher zerstört.

 

Danke für die Aufmerksamkeit